Internationales Zuchtprogramm für den Cavalier King Charles Spaniel: „Cavaliers
for Life“
Einleitung
Nach der Aussendung des BBC-Programms „Pedigree Dogs Exposed“ ist die Hundewelt
nicht mehr was sie vorher war. Ab jetzt werden Medien und Regierungen den Rassehundezüchtern
und vereinen fortwährend Forderungen stellen.
Deswegen können die Züchter am besten ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen
und selbst Vorschläge zur Verbesserung der Gesundheit der Hunde entwickeln und damit
für die Sicherung der Zukunft der Zuchtpopulation sorgen.
Das von Züchtern aus verschiedenen Ländern entwickelte Programm „Cavaliers for Life“
ist ein gutes Beispiel für eine solche Initiative.
Erbkrankheiten
Paul Mandigers und Laura Roest
Mehr als 100 wissenschaftliche Studien haben sich innerhalb der letzten fünf Jahrzehnte
mit dem Cavalier King Charles Spaniel (CKCS) beschäftigt. Dank der wissenschaftlichen
Erforschung der Krankheiten wissen wir heute mehr über den CKCS und seine (erblichen)
Krankheiten als über diejenigen anderer Rassen. Leider ist der CKCS dadurch zu einem
einfachen Angriffspunkt für die Medien geworden. Und das hat einen vernichtenden
Einfluss auf die öffentliche Meinung über den CKCS. Jedoch wurden der CKCS und dessen
Züchter damit aber auch in eine Lage versetzt, die es zulässt, diese Fragen von
Behörden, Politikern, Tierärzten und anderen Züchtern aufzugreifen.
Bei dieser Hunderasse gibt es zwei häufig vorkommende Krankheiten mit offenkundigen
klinischen Folgen und einer hohen Prävalenz. Beide treten auch bei einigen anderen
Rassen auf, aber für die anderen Rassen fehlt das exakte Wissen zur Prävalenz.
MMVD
Bei der ersten untersuchten Krankheit handelt es sich um die Mitralklappeninsuffizienz
(Myxomatous Mitral Valve Degeneration, MMVD des Herzens oder noch Mitral (Valve)
Regurgitation oder Mitral Valve Disease). Die Mitralklappe dient als Ventil zwischen
dem linken Vorhof des Herzens und der linken Herzkammer. Sauerstoffreiches Blut
strömt von den Lungen in den linken Vorhof. Von dort aus fließt es weiter in die
linke Herzkammer. Wenn sich beim Pumpen nun die linke Herzkammer zusammenzieht,
wird das Blut über die Aorta in den Körper gepresst. Bei Vorliegen einer MMVD können
sich die Mitralklappen nicht vollständig schließen und dadurch fließt Blut zurück
in die linke Herzkammer. Im Frühstadium hat das keinerlei klinische Folgen. Doch
in einigen Fällen kann es dadurch im Laufe der Jahre zu einer schweren Arterienerweiterung
und zum Versagen der linken Herzkammer kommen. Bei Krankheitsbeginn zeigt der Hund
noch keine Krankheitsanzeichen und nur beim Abhören des Herzens ist ein leichtes
Geräusch wahrnehmbar. Frühe Krankheitsanzeichen sind eine leicht erhöhte Herzfrequenz
und Husten, der sowohl leise als auch laut sein kann. Im Laufe der Zeit kann es
zu verminderter Leistungsbereitschaft, Gewichtsverlust und Pleuraerguss (Flüssigkeitsansammlung
in der Lunge) kommen. Von MMVD sind sowohl Menschen als auch Hunde betroffen. MMVD
kommt bei allen Hunderassen vor, aber diese Krankheit tritt beim CKCS schon bei
jungen Tieren als „juvenile MMVD“ auf. Laut früheren Studien liegt die Prävalenz
der juvenilen MMVD (im Alter von 6 Jahren) bei 50 % und der MMVD bei älteren Hunden
etwa bei 90 %.
CM/SM
Die zweithäufigste Krankheit ist CM/SM. CM ist die Abkürzung für Chiari-like Malformation
(Chiari-ähnliche Missbildung) und SM bedeutet Syringomyelie (Höhlenbildung im Rückenmark).
Bei der Chiari-ähnlichen Missbildung verschieben sich Teile des Kleinhirns durch
das große Hinterhauptloch in den Rückenmarkskanal der Wirbelsäule und drücken auf
den Hirnstamm.
Meistens verursacht dies beim CKCS einen abnormalen Nervenwasserfluss um das Rückenmark
sowie eine Erweiterung des Rückenmarkkanals und der mit Flüssigkeit gefüllten Hohlräume
im Rückenmark (siehe Abbildung). Viele CKCS weisen keinerlei Krankheitssymptome
auf. Allerdings kann es im Frühstadium bestimmte Hinweise geben, wie Luftkratzen
(Phantomkratzen) in Richtung des Nackens, plötzliche Schmerzanfälle, Kopfreiben
und Gesichtsschmerzen. Stärker betroffene CKCS können sogar neurologische Defizite
wie Ataxie (Koordinationsstörung in den Bewegungsabläufen) und wiederholt auftretende
Schmerzanfälle haben. Aufgrund früherer Forschungen wird die Häufigkeit von CM bei
den CKCS mit annähernd 95 % und von SM mit über 50 % angegeben. Die Prävalenz der
klinischen Fälle liegt im Bereich von 8 - 10 %. Die Häufigkeit beider Krankheiten
(MMVD und CM/SM) kann in den verschiedenen Ländern abweichend sein, da sie unterschiedliche
Populationen haben.
Arbeitsplan für CKCS-Züchter in den Niederlanden
Die CKCS-Züchter werden mit zwei verbreiteten Krankheiten konfrontiert.
Deswegen haben der Niederländische Kennel Club (Raad van Beheer), der Cavalier-Club
der Niederlande und die Züchter sowie die Tierärzte und Wissenschaftler der Universität
von Utrecht (Niederlande) beschlossen, ab November 2011 CKCS-Hunde nach den nachstehenden
Richtlinien zu züchten und möglichst viele Daten für das Zuchtprogramm „Cavaliers
for Life“ zusammenzutragen:
CM/SM
- Alle für die Zucht vorgesehenen Hunde werden gescannt, bevor sie zur Paarung zugelassen
werden. Die Scan-Ergebnisse werden nach drei Altersgruppen aufgegliedert.
- Alle Scans werden in zugelassenen MRI-Zentren nach der gleichen Methode ausgeführt.
- Alle MRI-Scans werden von einem europäischen Gremium zugelassener Radiologen und
Neurologen beurteilt.
MMVD
- Bevor ein für die Zucht vorgesehener Hund zur Paarung zugelassen wird, wird bei
ihm erst eine ordentliche Herzuntersuchung (dazu gehört u.a. das Abhören der Herztöne)
und eine Ultraschalluntersuchung des Herzens durchgeführt.
- Jährlich eine Herzuntersuchung. Vor dem Alter von fünf Jahren darf ein Hund kein
auf MMVD hinweisendes Herzgeräusch haben.
- Bis zum Alter von mindestens zehn Jahren werden regelmäßige Nachuntersuchungen durchgeführt.
- Alle Ultraschall-Untersuchungen werden von zugelassenen Zentren und gemäß dem gleichen
Protokoll durchgeführt. Das Abhören des Herzens wird von zugelassenen Kardiologen
oder Internisten ausgeführt.
DNA
Von allen für die Zucht vorgesehenen CKCS wird bei der Durchführung des MRI-Scans
eine Blutprobe für die DNA-Isolierung genommen und aufbewahrt.
Zuchtprogramm „Cavaliers for Life“
Arnold Jacques, Pauline Jordens
Wir alle wissen, dass es nicht ausreicht, die Messwerte und die Leistungen eines
Hundes zu beurteilen, um Aussagen über seine genetische Veranlagung machen zu können.
Eine Zuchtstrategie, die sich nur auf die Einzelergebnisse eines Hundes stützt,
ist unzureichend und kann für die künftigen Würfe gefährlich sein.
Vor zwei Jahren haben wir eine private Initiative ins Leben gerufen. Deren Zielsetzung
ist die Entwicklung eines Zuchtberatungsprogramms, welches sich auf die voraussichtlichen
Zuchtwerte (Estimated Breeding Values, EBV) für die Cavalier-Population stützt.
Zu diesem Zweck haben wir ein nur hierfür bestimmtes Computerprogramm entwickelt.
Die ersten beiden Länder, die sich diesem Programm angeschlossen haben, sind die
Niederlande und Belgien. Die Abstammungsurkunden aller seit 1995 in diesen beiden
Ländern geborenen Cavaliers werden in diese Datenbank eingegeben.
Die Katholische Universität Löwen (KUL, Belgien) hat unter der Leitung von Dr. Steven
Janssens einen vollständigen Bericht über die genetische Diversität und den Inzuchtkoeffizienten
für die in den letzten 15 Jahren in diesen beiden Ländern geborenen Cavaliers erstellt.
Der Bericht enthält folgende Schlussfolgerung: Alle Zuchtstrategien müssen nicht
nur aufgrund des Auftretens einer oder mehrerer genetischer Störungen entwickelt
werden, sondern auch auf Grundlage der Größe der genetischen Diversität der Rasse.
Unter wissenschaftlichem Standpunkt ist es die beste Lösung für die Cavalier-Population,
sich bei der Zucht an der Zuchtwertschätzung zu orientieren und die Inzucht zu beschränken,
d. h. „optimale genetische Beiträge“ zu liefern.
Was ist der Zuchtwert und wie wird er berechnet?
Bei der Zuchtwertschätzung handelt es sich um eine mathematische Methode, mit der
die genetische Prädisposition eines Tieres für ein bestimmtes Merkmal geschätzt
wird. Der Zuchtwert schätzt ein, wie gut das Tier als Elternteil für die nächste
Generation sein wird. Mit anderen Worten: Er taxiert den Wert des Tieres für die
Zucht, und das wird als Zuchtwertschätzung (EBV) bezeichnet.
Zunächst einmal tragen wir möglichst viele Informationen über die Hunde zusammen
(Abstammungsurkunden, ärztliche Untersuchungen, Assessments usw.). Diese Informationen
werden in standardisierter Form in ein speziell dafür entwickeltes Computerprogramm
eingegeben.
Die Daten werden auf Grundlage eines Tiermodells zu Zuchtdaten verarbeitet. Die
Berechnungen werden nach dem BLUP-Verfahren ausgeführt (BLUP = Best Linear Unbiased
Prediction).
Wie sieht das in der Praxis aus?
Ein Zuchtwert ist eine Zahl für jeden Hund und für jedes einzelne Merkmal. Für jedes
Merkmal wird die Zahl 100 als Durchschnittswert der jeweiligen Rasse angenommen.
Je höher die Zahl des Hundes für ein bestimmtes Merkmal ist, desto besser vererbt
er dieses Merkmal auf seine Nachkommen – und umgekehrt gilt: Je niedriger diese
Zahl ist, desto schlechter vererbt der Hund dieses Merkmal auf seine Nachkommen.
Wenn wir es mit negativen Merkmalen zu tun haben (erbliche Krankheiten), so vererbt
ein Hund mit einem niedrigen Wert diese Krankheit weniger stark als ein Hund mit
einer höheren Zahl.
Um in jeder Generation Verbesserungen zu erzielen, muss gewährleistet werden, dass
der Zuchtwert eines Wurfs kleiner oder gleich 100 ist. Der Zuchtwert eines Wurfes
ist der Mittelwert aus den Zuchtwerten beider Elterntiere.
Zuchtwerte im Verlauf der Zeit
Die Zuchtwerte haben ein Tiermodell als Grundlage und sind im Verlauf der Zeit nicht
fest. So kann sich der Zuchtwert eines bestimmten Hundes sogar ändern, auch wenn
für ihn selbst keine neuen Daten eingegeben werden, nämlich beispielsweise wenn
für mit ihm verwandte Tiere neues Datenmaterial vorliegt.
Zuchtempfehlungen (Paarungsplanung)
Mit der Einführung von Zuchtwerten (EBV) bei einer Rasse besteht stets das Risiko,
dass die Züchter nur die Hunde mit dem besten Zuchtwert verwenden wollen (= „Bestenkultur“).
Das führt jedoch zum Ausschluss anderer wertvoller Hunde und schließlich zur Verkleinerung
des Zuchtpools mit dem berühmten Engpass am Ende.
© B. Kutsch
Deswegen wird empfohlen, am Anfang nicht die Zuchtwerte für jeden einzelnen Hund
zu veröffentlichen. Anstelle dessen berechnet der Computer für jede Hündin eine
individuelle Liste geeigneter Rüden (auf Grundlage der Zuchtwerte der jeweiligen
Kombinationen).
Der Züchter bekommt die Liste, in der die geeigneten Rüden in alphabetischer Reihenfolge
angegeben sind. Indem der Züchter einen Rüden aus dieser Liste wählt, entsteht ein
Wurf mit Zuchtwerten, die über dem Durchschnitt der Rasse liegen. Auf diese Weise
wird die Population mit jeder neuen Generation verbessert.
Künftig soll auf den Abstammungsurkunden der Welpen vermerkt werden, wenn der Züchter
die Elterntiere entsprechend der Zuchtempfehlung ausgewählt hat. Damit wird bescheinigt,
dass der Welpe aus einer wissenschaftlich fundierten Kombination stammt.
„Cavaliers for Life“-Projekt
Dieses Projekt kann als Pilotprojekt betrachtet werden. Es handelt sich um eine
private Initiative, die von Züchtern aus verschiedenen Ländern ins Leben gerufen
wurde. Dies erfolgt in enger Zusammenarbeit mit Universitäten, Genetikern, Tierärzten,
Formwertrichtern usw.
Viele Freiwillige arbeiten intensiv zusammen, damit dieses Projekt erfolgreich wird.
Die Finanzmittel werden von einer Gesellschaft ohne Gewinnzweck verwaltet.
Viele Züchter haben sich mit einer Spende beteiligt. Wir danken insbesondere dem
niederländischen Kennel Club (Raad van Beheer) und der Wissenschaftlichen Kommission
des belgischen Kennel Clubs (Société Royale Saint Hubert) für ihre finanziellen
Beiträge zu diesem Pilotprojekt.
Gegenwärtig haben wir 24.000 Abstammungsurkunden von Cavaliers in unserer Datenbank.
Wir sind damit begonnen, Daten über MVD-Screenings, SM/SM-Scans, Augenuntersuchungsberichte,
DNA-Tests (Episodic falling syndrome und Dry Eye/Curly Coat) zu sammeln.
Weitere Informationen finden Sie auf:
www.cavalierpopulation.com
Dr. Paul Mandigers DVM, PhD, Dip ECVN, DipRNVA-Internal Medicine, Anerkannter EBVS-Facharzt,
Universität Utrecht, Niederlande
Laura Roest, DVM, Tierärztin des Dutch Kennel Club (RvB), Amsterdam, Niederlande
Ing. Arnold Jacques, Präsident Cavaliers for Life, Präsident Belgian Toyspaniel
Club, Belgien
Pauline Jordens, Cavalier-Züchterin, Cavalier-Verantwortliche des niederländischen
EGCN
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